Lotti und der Nazi

   Weiß noch genau wie das feiste Nazischwein sich da über meine Schulter gebeugt hat und mit seinem vergammelten Atem geflüstert hat: „Ey, lass den Typen da mal anzünden, Lotte.“ Echt gammlig hat der da aus dem Maul gestunken, wie Hitler. Hab ich mich aber nicht getraut ihm zu sagen, dass er total wie Hitler riecht und auch nicht, dass ich den Penner nicht anzünden wollte. Hab nur gesagt: „Trauste Dich ja eh nicht.“ Und dann hab ich noch seinen Namen hinterdrein geschoben, der reimte sich sogar auf Nazischwein (also der Name). Dann hat er gesagt: „Na und ob ich mich das traue“ und hat den Spiritus auf den schlafenden Penner gekippt und hat den dann mit so’nem Plaste-Feuerzeug angemacht. Dann sind wir natürlich weg. Aber ich glaub der Penner hat garnichts gemerkt, hat einfach weitergepennt. So’n tiefen Schlaf will ich auch haben, wenn bei mir mal die Bude abfackelt. Weiß man aber natürlich nicht, ob er wirklich diese ganze holocaustartige Verbrennung über durchgepennt hat. Hab mir oft vorgestellt, wie er dann doch noch aufgewacht ist und in der totalen Panik aufgesprungen und brennend, wie im Horrorfilm, noch rumgerannt ist. Aber da kriegste echt nur schlechte Träume von, hab mir darum dann gesagt, dass er bestimmt einfach so voll und besoffen war, dass er dabei durchgepennt hat, wie nix Gutes. Muss dann ja auch komisch sein, wenn man einfach nicht mehr aufwacht.
   Der Nazi und ich sind dann also weggerannt und haben uns in so nem versifften Hauseingang untergestellt oder versteckt oder wie man das dann so nennt, weil wir sind ja nicht verfolgt worden oder sowas, hatte ja noch keiner von unserer also das heißt seiner Untat Wind gekriegt. Und dann hat der mich geküsst, was weil der ja, wie schon beschrieben, den totalen Gammelatem hatte, echt nicht schön war. Ich glaub der fand sich auch noch so richtig geil, weil er den Penner angezündet hatte. Auf jeden Fall ist er mir mit der Zunge wie irre durch den Mund rotiert. Und weil er dabei halt so hitler stank, kam mir plötzlich echt die Galle hoch und da hab ich ihn weggestoßen, weil wenn das so weitergegangen wäre, hätt‘ ich ihm vermutlich einfach in den Mund gekotzt. Da hat er dann Fotze zu mir gesagt und ist weggegangen, im Regen. Das hat mir aber nichts ausgemacht, dass er mich Fotze genannt hat, weil ich ja wusste, dass er’n Arsch und sogar Mörder ist. Wenn er ’n netter Mann gewesen wäre, dann hätt‘ mir das vielleicht was ausgemacht, wenn der mich so beschimpft hätte. Aber nette Männer, die zünden doch keinen an und wirklich nette Männer die sagen wahrscheinlich auch nie Fotze zu ’ner Frau. Aber solche gibt’s vermutlich nur im Märchen, solche Typen, die nie solche Beschimpfungen benutzen. Mir hat das echt nichts ausgemacht, nicht von so einem.
   Jedenfalls bin ich dann halt auch irgendwann heim gegangen, nachdem ich da bestimmt noch ne Stunde oder was, im dunklen Hauseingang gestanden bin und nicht richtig wusste ob ich jetzt eher Angst hab, dass die Polizei kommt und mich befragt zu dem verbrannten Penner oder ob ich darauf warte, dass der Nazi zurückkommt. Vielleicht wollte ich auch einfach nicht raus in den Regen. – In der Nacht hab ich dann auch geträumt, dass der Nazi brennend vor meiner Tür steht und mich, Sie wissen schon was, will. Das ist echt einer der brutalst-übelsten Träume gewesen.
   Am übernächsten Tag war das dann auch in der Zeitung, dass der Penner abgebrannt worden war. Sogar in der BILD gab’s so’n kurzen Text dazu. Hab ich mir zuerst ausgeschnitten, dann aber später doch wieder weggeworfen, weil ich gedacht hab: wenn die Polizei das hier mal sieht und mich dazu fragt, dann bin ich das am Ende noch gewesen, in deren Augen. Jedenfalls: Ich bin dann in den nächsten Wochen immer einfach zur Arbeit gegangen (ich arbeite bei so’ner amerikanischen Pizza-Kette in der Küche) und hatte im Anfang immer noch viel Angst, dass der Nazi oder die Polizei oder vielleicht ’n Kumpel von dem Penner auftauchen könnte und mich festnehmen oder verprügeln oder Sie wissen schon was. Das hat mich da echt runtergezogen, aber mit der Zeit bin ich halt etwas sorglos geworden und hatte an manchen Tagen sogar wieder Spaß und hab nicht an den brennenden Penner gedacht und diesen ganzen Müll. Aber letzte Woche, also das ist jetzt auch alles schon ’n Jahr oder so her, weiß ich ja gar nicht, ob Sie das noch erinnern, dass das da mal in der Zeitung gestanden hat, also die Story mit dem verbrannten Penner, letzte Woche hab ich den Nazi wiedergesehen. Da war mir gleich, wie wenn ich seinen stinkenden Gammelatem wieder in der Nase und im Mund hätte und ich hab mich, wie das der Zufall so will, in genau dem Hauseingang vor dem Nazi versteckt, in dem er mir damals mit seiner Zunge im Kopf rumgemacht hat hat. Da hab ich mich dann zusammengehockt und hab mir die Kapuze über’n Kopf gezogen und auf den Boden gehockt, dass er mich nur nicht sieht und erkennt, hab ich gedacht. Und als Sie mir dann an die Schulter gepackt ham‘, da hab‘ ich geglaubt er isses und jetzt macht er mit mir was er will und darum hab ich Sie dann gegen’s Schienbein gekickt und jetzt weiß ich ja, dass Sie mir bestimmt nur ham‘ helfen wollen oder zumindest nur mal fragen, ob alles okay ist. – Ist aber überhaupt nicht alles okay.
   Seit ich mich da versteckt hab, letzte Woche, und dann halt weggerannt bin, hab ich echt die ganze Zeit nur noch Panik und Angst und könnte brechen, so übel ist das, dass ich jetzt weiß, dass das Nazischwein hier irgendwo rumrennt und mich sucht. Der ist in der Lage und zündet mich auch an oder das ganze Haus, wo ich wohne. So ist der Nazi nämlich, erst vergast er einen mit seinem Atem und dann fackelt der nicht lange rum, sondern: Holocaust.
Naja, aber irgendwann musste ich dann ja auch mal raus und Klopapier und Essen und so kaufen gehen und da dann im Supermarkt an der Kasse sind Sie halt aufgetaucht und, wissen Sie ja, haben gesagt, dass Ihnen Ihr Schienbein noch immer wehtut von dem Tritt und da bin ich dann halt, ham‘ Sie ja auch gesehen, zusammengebrochen. Total am heulen und schluchzen; und bestimmt hat der Kassierer dann gedacht, dass Sie Schuld haben und hat Sie böse angeguckt oder sogar was gesagt, hab ich halt alles nicht mitgekriegt, sondern geheult. Und dann ham Sie sich da zu mir gesetzt und gefragt: „Was ist denn mit Ihnen?“ Und weil das, so ein paar ganz einfache Worte, echt das netteste war, was seit ganz langer Zeit mal einer zu mir gesagt hat, hab ich da noch mehr geweint. Und dann sind wir rausgegangen, an die frische Luft, wie Sie gesagt haben, und ich hab wieder ’n bisschen Atem gekriegt und dann haben Sie mich direkt zu dem Arzt gebracht und haben sogar im Wartezimmer gesessen, während ich da drin war und haben gewartet und der Arzt hat gesagt, dass Sie mich echt gerettet haben und hat mir so Zeug gegeben, dass mir jetzt weniger Panik macht und Sie haben gesagt, dass ich erstmal hier bleiben kann, bei Ihnen, bis der größte Horror vorbei ist und, dass Sie mich dann, wenn ich das will auch zur Polizei bringen, dass ich das Nazischwein anzeigen kann. Und ich sag Ihnen, ich überleg jetzt echt, dass ich das endlich machen könnte. Weil der Kerl ist’n Mörder und ich hab echte Angst vor dem.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.