Sinn und Ziel

Natürlich sei es nur sinnbildlich zu verstehen. Wie auch sonst? Wenn ich also von den rostroten Flecken auf Deiner Seele spreche, von den Drachen in Dir, dann meine ich das nicht wörtlich. So wie ja auch diese ganze Geschichte von dem Aufbruch ins Unbekannte und die Annahme es gäbe da einen, den keiner kennte, einen der Geheimnisse mit sich trüge, von denen man nur ahnt, dass sie bedeutungsvoll sind, ohne Zweifel irgendeinen anderen Sinn ergeben müssen, als jenen nichtigen, den sie nach außen tragen.
Aber wie entsetzlich ist das denn, dass ich mich selbst hier im Du und im Unbekannten zu spiegeln suche? Welche Drachen, welche Erpel versuche ich zu (er)finden, da ich diese Zeilen schreibe? Welche Farbe, wenn nicht rostrot, soll meine Seele haben?

Ich arbeite für eine Behörde der Bundesrepublik Deutschland. Meine Aufgaben sind die akkurate Katalogisierung nicht nur von Menschen (geordnet nach Geschlecht, Rasse, Herkunft, genetischen Besonderheiten usf.) sondern auch die unserer Sprache. Ein Stab von Mitarbeitern steht mir zu Verfügung, diese Aufgabe zu bewältigen. Mein Kollege L. aus der Abteilung für Gebäude- und Fahrzeuginventarisierung pflegt zu sagen, dass wir, dass unsere Behörde, soetwas wie das Bewusstsein dieses Landes sind.
Im Grunde halte ich nicht viel von solchem Gerede, doch in diesem Fall muss ich (widerstrebend) zuerkennen, dass ein Funken Wahrheit darin liegen könnte, wenn es vielleicht auch eher das Unterbewusstsein ist, das wir verkörpern, wenn wir unser Land versuchen maschinenlesbar zu machen. ‚Valide auszuzeichnen‘, wie das in der schnatternden Sprache unserer Behörde heißt.

Die Behörde befindet sich in einer sogenannten Großstadt und ist unauffällig zwischen einem Betrieb zur Trinkwasserwiederaufbereitung und einem Institut für Energieforschung der hiesigen Hochschule gelegen. Ich selbst muss, wenn ich morgens mit dem Fahrrad hierher fahre zwischen 15 und 25 Minuten Weg einplanen, was für die von mir zu bewältigende Strecke eine durchschnittliche Fahrtzeit ist. Manchmal schaffe ich es so früh aufzustehen, dass ich auf halber Strecke bei einer Bäckerei anhalten und einen Kaffee trinken kann. Die junge Frau, die mich dort meistens bedient, ist – das geht aus den Behördenunterlagen hervor – alleinstehend. Ich bin ein bisschen in sie verliebt, wage es aber nicht ihr das zu sagen, obgleich ich – zwei Jahre älter als sie, von durchschnittlicher Statur und deutlich besser als sie verdienend – mir einbilde so bezeichnete ‚Chancen‘ bei ihr zu haben.

Wenn ich hier sitze, hole ich manchmal mein kleines, grünes Notizbuch hervor und beginne Aufzeichnungen wie diese hier anzufertigen. Meist sind es nur Sätze wie die oben: „Die vergorene Realität eines noch jungfräulichen Tages in mich aufnehmend, die Vergangenheit hinter mir lassend sitze ich da.“ etwa, oder: „Sticht auch ein gewisser Blauton in das feurige Licht Deiner Anwesenheit, Schöne, will ich mich doch noch einmal auf jenes ‚hic sunt dracones‘ der alten Seefahrer berufen und […]“ so weiter und so fort. Manchmal auch etwas weiterreichende Überlegungen zu unserer Gesellschaft, darüber was hier schief gelaufen ist.

Veröffentlichen kann ich das dann aber natürlich nicht, verfranste Realität.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.