In der Gruppentheorie, einer Teildisziplin der Mathematik, gibt es den Begriff der sogenannten Monstergruppe. Die Monstergruppe gilt als mächtigster Verbund unter jenen dynamischen Zusammenschlüssen, die man die sporadischen Gruppen nennt.
Lange Zeit konnten wir die Existenz jener Automorphismengruppe nur mutmaßen. Ein Schatten hier, ein Echo dort. Ich will gerne gestehen, dass auch ich mich von den Schauergeschichten jener Zeit einlullen ließ. Meine Pili erigierten sich in wohlig-wonnigem Grusel, wenn ich an jene Erzählungen von der 196883. Dimension dachte. Ich weiß noch, wie unser Mathematik-Lehrer, Herr Fischer, uns auf unserer Klassenfahrt nach Keilberg das erste mal von der Monstergruppe und der, für uns Schüler noch viel unheimlicheren, Baby-Monstergruppe erzählte. Ich glaube kaum, dass in der Nacht darauf auch nur ein einziger Schüler der 5a des Robert-Griess-Gymnasiums Aschaffenburg ein Auge zugetan hat. Zu unfassbar, zu groß waren die so evozierten Bilder und Vorstellungen.
Und auch wenn ich nicht glaube, dass irgendjemand wirklich an die Existenz der Monstergruppe geglaubt hat (ich jedenfalls tat es nicht), lag von da an ein impliziter Schrecken in der Welt. Neben den weltlichen Gefahren, die in Russen, Atombomben, Viren und Bakterien, wilden Tieren, fremden Kulturen und Meteoriteneinschlägen bestanden, gab es jetzt etwas noch viel unbegreiflicheres: Die Monstergruppe. Ein Konvolut aus Unfassbarkeit, reiner Mathematik und Gefahr. Mächtiger als alle anderen Gruppen, weit entfernt und unendlich nah, in einer Dimension, deren Ordnungszahl wir uns kaum merken konnten (die aber natürlich trotzdem alle kannten und ohne Probleme aufsagen konnten), wirkten diese zähen Kämpfer im monströsen Mondenschein oft realer als ihre Äquivalente aus der Kohlenstoffwelt.
Doch wie das mit solchen Schreckgespensten nun einmal ist, verloren auch Monster- und Baby-Monstergruppe mit den Jahren ihren Schrecken. Was sollten wir uns länger vor etwas fürchten, das so fremd, so fern war? Man richtet sich in seinem Leben auch dann ein, wenn es von Unwägbarkeit und Gefahr geprägt ist. Oder haben Sie sich heute morgen schon ausreichend mit dem Risiko eines atomaren Erstschlags durch die Kommunisten beschäftigt?
Und dann, 20 Jahre später, saß ich vor dem Fernseher und der Nachrichtensprecher sprach die Nachrichten und die Nachrichten sagten das Unsägliche. Sie ist real. Die ganze verdammte Monstergruppe ist real. Meine Alp- und Angstträume, der ständige unterbewusste Druck, der mein Herz hat schneller, schmerzender schlagen lassen, wenn ich allein war oder mit Freunden, alles hat Hand und Fuß gehabt. Dieses plötzliche Flattern eines zahlenhaften Schemens in einer abendroten, dämmergrauen Gasse; das leise Scharren von Krallen auf Rost, wo nur Holz und Asche lagen. Alles war Wirklichkeit und ein Schimmern aus der 196883. .
Die Welt ist mir eine andere geworden, seit die Gruppe bewiesen ist. Ich stehe morgens auf, mache Buttertoast und schneide einen Apfel, trinke dazu eine Tasse dünnen Tee und lege mich für den Rest des Tages wieder hin. Es ist wahr, was man sagt: die Nachrichten gebären Ungeheuer. Und auch wenn den wenigsten Nachrichtenereignissen eine in diesem Sinne unbefleckte Empfängnis vorhergegangen sein mag, will ich doch betonen, dass Fernseher und Hasenohren an jenem Tag makellos geputzt, frei von Staub und Schmutz gewesen sind.
Bei Nacht seh’ ich sie jetzt öfter schlendern, mal klein, mal groß; mal mit den Babys im Schlepptau, mal nur damit beschäftigt ihre Eier zwischen Dielen und Ritzen zu legen. Dann halt ich ganz still und den Atem an, ziehe die Bettdecke enger um mich und schließe die Augen. Schlafen darf ich nicht, denn dann liegen sie bald mir mit ihren Eiern in den Ohren. Ich will mich aufbäumen, weiß nicht wie und kann nur sagen:
Es nutzt doch nichts. Nun kommt die Zeit der Monster. So wie einmal die Zeit der Bakterien, später der Saurier war, so wie jetzt die Zeit der Säuger und Menschen ist und so wie eines Tages die Zeit des toten Sands sein wird, so kommt jetzt die Zeit der Monster.