I
Ich sitze in meinem Häuschen und bibbere ganz kläglich. Wunderlich ist’s draußen durch den Schnee zu sehn.
II
In der Autowaschanlage war es dunkel und trocken. So begegnete ich Zacharias.
Zacharias war von der Tankstelle herbestellt worden, die Autowaschanlage zu warten. Und während er die Autowaschanlage wartete, wartete ich draußen, im strahlenden Sonnenschein, vor der Autowaschanlage in meinem regengrünen Cabrio.
Später war die Autowaschanlage wieder dunkel und feucht und mein Cabrio, wie ich es so in die Autowaschanlage einfahren ließ, nahm üblen Schaden.
So ist das mit solchen Abenteuern. Am Ende ist eben immer doch ein bisschen mehr dabei, als nur einfach rein und wieder raus.
Zacharias, der zuvor die Waschanlage gewartet hatte, wartete jetzt draußen, vor der Autowaschanlage, im strahlenden Sonnenschein. Er lachte. Er lachte und lachte und hörte gar nicht mehr auf zu lachen. Da musste auch ich ein bisschen lachen, denn auch wenn mein Cabrio nun völlig durchnässt dastand, vermutlich nicht mehr zu retten sein würde, hatte ich doch einen Freund gefunden in dieser sonnendurchstrahlten, dunklen, feucht-trockenen, regengrünen Welt.
Dieser Freund hieß Zacharias.
III
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IV
Ähnlich ging es ihm auch mit Fischerle, dem garstigen Zwerg. Ihn würde er nicht so schnell wieder in die gute Stube lassen, hatte Fischerle beim letzten mal doch die ganze Milch weggesoffen und all die schönen Dinge, die seine Tochter Anika ihm vermacht hatte, in seiner (also Fischerles) großer Sport-Umhängetasche verschwinden lassen. Richtig böse konnte Jägerle Fischerle aber trotzdem nicht sein, dafür tauschten sie zu gerne lateinische Sprichwörter aus.
V
Gerade mal siebzehn Jahre bin ich alt gewesen, als mein Hund Zygote starb. Was hatte ich mir bloß bei diesem Namen gedacht?
Wie sollte ich ohne den alten Sennen weiterleben? Schiere Verzweiflung brach über mich herein.
Tränen des Widerstandes.
VI
Ich hatte den Hund Li schon länger nicht mehr gesehen. Als er mir nun an diesem Abend an der Ecke Gartenstraße/Beethovenstraße entgegen kam, wirkte er alt und abgekämpft. Sein Fell war struppig, wie von langem Kampf und seine Augen blickten unruhig die Straße entlang.
Er folgte mir die paar hundert Meter bis zu meinem Haus in der Beethovenstraße und tat dann was er noch nie getan hatte, er folgte mir weiter durch den Vorgarten und bis zur Tür. Als ich aufschloss setzte er sich mit fragendem Blick vor die Tür und erst als ich sagte: Komm ruhig rein, Li, folgte er weiter.
Li schlief von da an drei Nächte neben meinem Bett und ich brachte ihm Rührei und Speck und ein paar alte Kartoffeln.
Am vierten Tag schließlich ging er in den Garten, nahm Anlauf, sprang über die Hecke und verschwand.
Danach habe ich Li nie wieder gesehen.
VII
Kraniche kreuzten die Straße und machten sie damit zur Kreuzung.
Ein Luftweg und ein Landweg.
Kraniche kreuzten den Fluss und machten ihn damit zur Kreuzung.
Ein Luftweg und ein Wasserweg.
Brücke kreuzte den Fluss und machte ihn damit zur Kreuzung.
Ein Landweg und ein Wasserweg.
Kraniche sind abgestürzt. Alles wieder wie vorher. Nur die Brücke bleibt.
VIII
Dröge dunkelts in der Nacht. Schlaf noch immer Volksdroge Nr. 1.
IX
Hafenklänge die aus dem Keller emporstiegen verdampften mir die Ohren. Ständiges Hämmern und Tuten. Was für eine Welt war das bloß?
X
Man soll ja nicht immer nur über die anderen schimpfen. Heute ist einmal die Zeit gekomen schonungslose Kritik an mir selbst zu üben.
Mein Name lautet BM-NBqowzUp34f3Lpy8xrHurFSaucmdBBhv und ich bin Mandelhörnchen-Sammler. Manche behaupten gar, ich besäße die größte Mandelhörnchen-Sammlung diesseits der Wupper. Unter den Mandelhörnchen-Sammlern weltweit nehme ich damit wohl einen der vorderen Ränge ein.
Nun aber zur Kritik: Kürzlich habe ich ein Mandelhörnchen aus dem 97er-Jahrgang aufgegessen. Es lag in seiner Vitrine und funkelte mich an. Da schlug ich zu. Nun quält mich Stund um Stund die Frage: Was für ein Sammler bin ich eigentlich, dass ich meine eigene Sammlung vertilge?
XI
Blaue Grashalme allüberall, da wo die Ehrlichkeit wohnt bin ich nicht länger zu Hause.
XII
Kollaboration plus, sagte Winfried immer, ehe er Verrat beging. Winfried war ein echter Euphemist. Euphemist und Menschenschinder, so pflegte man bei uns zu sagen. Also ließ Winfried viele hunderttausend Menschen in die Gaskammern von Kabelstädt wandern. So auch meine Mutter, meinen Bruder und den Lebensgefährten meines Onkels Ulrich. Jahre später sollte ich Rache nehmen. Winfried ist nun tot.
Jahre später sollte ich Rache nehmen. Winfried ist nun Tod.
XIII
Einmalig.
XIV
Thomas hatte schon länger keine Frau mehr gehabt und so beschloss er das örtliche Bordell aufzusuchen. Was ihm hier geboten wurde, enttäuschte ihn aber. Lustlose Frauen mittleren Alters langweilten sich an der Bar, ein Typ der sich selbst „der Chef“ nannte und einen beigen Anzug trug, fuhrwerkte zwischen ihnen herum. Offensichtlich ein Stammkunde. Entsetzt verließ Thomas diese Lokalität wieder, ging nach Hause und onanierte.
Am nächsten Tag fuhr er in die große Stadt, die 200 Kilometer von seinem Wohnort entfernt war. Hier hatte Thomas viel Spaß , lernte eine nette Frau kennen, die er ehelichte und wenn sie nicht gestorben sind, dann sind sie inzwischen vermutlich wieder geschieden.
XV
Vergilbte Blätter säumten meinen Weg durch die Katakomben. Ein jedes erzählte seine Geschichte aus einem anderen Blickwinkel. Und es waren Myriaden.
Also begann ich die Geschichten rund um meinen verblichenen Kumpel Schiller zu lesen. Kein leichter Stoff.
XVI
Als ich erwache, sind um mich herum nur karge, graue Wände zu sehen. Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin, aber ich ahne, dass dies das Ende meines Lebens ist. Ich liege auf dem Rücken und entdecke dann, dass da Stift und Papier unter mir liegen. Welch perfides Experiment. Aber was soll ich sonst tun als zu schreiben? Ich bin ja doch nur ein Fremder auf diesem Planeten gewesen, einer der für einen kurzen Moment auf Urlaub hier ist und dann wieder da hin gehen muss, wo die ewige Plackerei stattfindet. Zumindest kann ich mir das jetzt so einreden, wo ich auf mein Leben, mein viel zu kurzes Leben, zurückblicke und sehe: Da ist nichts, worauf man stolz sein könnte. Grelles Neonlicht von der Decke. Ich trage meinen braunen Pullover. Den hab ich in meiner letzten Erinnerung nicht getragen. Meine letzte Erinnerung, das ist Anja, wie sie zu meiner linken tanzt, auf und ab hüpft wie ein kleiner Affe, so ausgelassen, so froh. Dumpfe Bässe, irgendwas Elektrisches, keine Ahnung wie man das nennt.
Ich friere etwas, Stunden müssen vergangen sein, vielleicht auch schon Tage. Man hat hier kein Gefühl. Aber ich werde schwächer, müder. Ich schlafe jetzt viel. Dein Gesicht, Anja, soll das letzte sein, das ich erinnere.
XVII
Dieses Erwachen aus einem Zitat, hinein in die weite, wilde Welt. Aus der Geborgenheit in die Brutalität.
So muss es sein geboren zu werden.
IXX
Ihre Sammlung vakuum-getrockneter Heringe hatte inzwischen unerfreuliche Ausmaße angenommen, weswegen sie nun die notwendigen Schritte zum Umzug in ein größeres Habitat einleitete.
Der Makler offerierte ihr keine rosig-zarten, streichel-feinen Wohnraum-Annoncen, als sie von ihrer Leidenschaft, ihrer Sammlung, ihrem EIN und ALLES berichtete. Ganz im Gegenteil schlugen ihr Hohn und Häme entgegen.
Da blieb sie doch in ihrem kleinen Häuschen wohnen und verkaufte die Kollektion bei ebay an einen wohlhabenden Sammler aus Augsburg.
XVIII
Tagelöhner hatten sie ihn geschimpft und ihm die Pfanne entrissen. Drei Tage Brotlohn dahin und keine Aussicht auf einen Platz zum Schlafen oder gar was für zwischen die Kiefer. Schnee fiel aus dichtem Wolkengestöber und Piedros Tränenflüssigkeit, die jetzt eigentlich dickperlend von seiner Hornhaut blättern sollte, gefror zu tausend wunderschönen Kristallen. Dunkelheit legte sich über seine Welt und bald umschloss ihn die kalte Feuchte des Winters, bald empfing ihn die herzlose Fäule des Todes.
XX
Wohingegen niemand behaupten soll, ich sei ein Drückberger gewesen, einer der dem Griff in die Kloschüssel zu entrinnen sucht. Mitnichten habe ich mich so je verhalten. Wenn es irgendwo Scheiße aus der Leitung zu holen galt, dann habe ich das auch gemacht.
Claus Tötenberg, 1917-1974