Lebenslauf

Und dann stahl sie sich davon, ganz leise, bei Nacht: Meine Selbstachtung. Einfach so nach Nirgendwo. Mitgenommen hat sie meinen Hund: Einen hübschen Border-Collie mit lässig-schicker, grüner Irokesen-Frisur. Sein Name war Ironie. Diesen Burschen hab ich geliebt, das glaubt man gar nicht. Vielleicht sogar noch mehr als sie.

Ironie und Ich
Ironie und Ich (ca. 1998)

Doch Ironie biss mich. Nicht mit bösem Willen, sondern aus Spiel und Spaß; und das oft. In die Hand, die ihn fütterte. Das dumme Tier.
Und da hat meine Selbstachtung ihn irgendwann gepackt und ist mit ihm abgehauen. Keine Ahnung, vielleicht hat sie das nicht mehr ertragen, wie er mir wehtat, vielleicht mochte sie ihn einfach lieber als mich und die beiden leben jetzt zusammen auf einer Insel in der Südsee. Wer weiß das schon. Um unsere Beziehung stand es ohnehin schon lange nicht mehr gut. Im Nachhinein sieht man soetwas ja leicht ein.

Mein Kumpel Zynismus sieht das genau so. Das ist ein ganz famoser Kerl, den ich in einer einsamen Stunde an der Theke kennengelernt hab. Zynismus hat mir geholfen über die ganze Geschichte hinweg zu kommen und mich auch mit meiner Verlobten, der etwas blassen und unausgeglichenen Selbstverachtung bekannt gemacht. Die liebe ich nicht so, wie ich Selbstachtung geliebt habe, absolut nicht; aber sie liebt mich und das macht mir Mut und ich denke: So kann es weitergehen. Für immer.

Wetterbricht VI

18. Januar 2013
Sehr geehrter Herr H.,
ich muss unbedingt wissen, ob Sie da in Ihrer Notiz vom 9. Dezember des vergangenen Jahres variieren, was ich variiert zu sehen glaube. Ich weiß ja, dass Sie im Moment andere Sorgen haben, insofern brauchen Sie nicht extra zu antworten, lassen Sie mich bitte nur wissen, ob ich irre oder nicht irre.
Ergebenste Grüße,
Prochnow

20. Januar 2013
Was für ein seltsamer Moment das ist, wenn die Selbsterkenntnis, ein komischer Kauz zu sein, über einen kommt. Nicht, dass es mir etwas ausmachte, aber ein bisschen überrascht bin ich doch.
→ Schuhu

26. Januar 2013
Wenn was rollen will, dann soll man’s rollen lassen. Was aber wenn man das selber ist?, nachdem man sich in Sisyphosmanier einen Hang hinaufgequält. Was wenn man immer nur abwärts kugelt. Was wenn das nur geschieht, weil es Zeus kommöd ist einen immer und immer wieder mit belustigtem Fingerschnippen in die Tiefe zu schleudern?

im schwarzen Loch

Hoffnung, für mich ist das das Licht lang verglommener Sterne. Solche die längst abgehängt sind vom Firmament und nur noch als leises Echo nachglühen, als matter Schimmer im Eigengrau verhallen.
Die meisten dieser Sterne haben keinen Namen, sind nie von einem lebenden Wesen wahrgenommen worden, sind verglüht ohne gesehen worden zu sein. Ferne Sonnen in trister Unendlichkeit. (Welchen Sinn mag das Sternsein haben, wenn man nicht gesehen wird? Was ist Hoffnung ohne die Strahlkraft der Rezeptoren?)

Anschreiben

Sehr geehrter Herr Mustermann,

das hier ist ein 1A-Musteranschreiben im Rahmen einer 1A-Musterbewerbung auf die von Ihnen ausgeschriebene Stelle als Matrose. Auf Ihre Stelle wurde ich im Kleinanzeigenteil des Aschaffenburger Sonntagsblattes aufmerksam und war sofort fasziniert von den sich bietenden Möglichkeiten der sieben Weltmeere. Da ich ein gesellschaftsscheuer Charakter bin und über ein nur eingeschränktes Sozialleben verfüge, böte die Abgeschiedenheit, die das Leben auf hoher See mit sich brächte, für mich genau die Möglichkeit zur freien Persönlichkeitsentfaltung, die ich mir wünsche.
Weiterhin gefallen mir am Seemannsleben die schicken Uniformen und die wildromantische Vorstellung von unverbindlichen Verlöbnissen mit Damen in den Häfen dieser Welt. Ich singe auch gerne Seemannslieder.

Bislang habe ich Geothermie an der FH in Aschaffenburg studiert und nebenher in einem dieser kleinen Telefonläden gejobbt, die man in den letzten Jahren immer häufiger in den Innenstädten dieser Republik sieht. Ich beherrsche aber auch verschiedene Seemannsknoten und Würfelspiele, bin trinkfest, lernbereit und niveauflexibel. Einer beruflichen Umorientierung in die Areale der Maritimwirtschaft steht also nichts im Wege.

An Ihrer Reederei gefallen mir besonders der raue Umgangston und die phallisch-männliche Form der Schiffe. Für den Anfang stelle ich mir ein jährliches Gehalt von 320.000€ vor (zzgl. Nachtzuschlägen!).

Ich freue mich darauf Sie persönlich kennen zu lernen und verbleibe bis dahin mit freundlichen Grüßen.

Ihr,

Hauke Haien

Adel verfichtet

Ein Gastkommentar von Peter Punk-Ratz, vom anarchistischen Baum-Klub Potsdam:

Man muss sich das mal vorstellen, wie das sein muss. Ein Leben, zugebracht in einer kleinen Kate im Wald. Kein Strom, keine Toilette, überhaupt kein fließendes Wasser. An zivilisatorischen Errungenschaften nicht mehr als ein kleiner Ofen aus Gusseisen, Teller, Tasse, Topf, Messer und Gabel. Man muss sich das mal vorstellen. Keine Menschen, also auch keine Zuneigung und Liebe, keine Worte, keine Berührungen. Nur Pflanzen, Tiere, Wind und Wetter.
Und diesen Mann, der für 40 Jahre so dahin gelebt hat, den wollen sie jetzt holen und ins Gefängnis stecken. Wegen Landfriedensbruch und Wilderei soll ihm der Prozess gemacht werden. Das muss man sich mal vorstellen.

Dieser Mann heißt Hageborn und ist 72 Jahre alt. Ich hab ihn einmal zufällig auf einer meiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg getroffen. Er sprach leise, aber dafür, dass er zu jenem Zeitpunkt seit sieben Jahren keine Menschenseele mehr getroffen hatte, sehr klar und deutlich artikuliert. Der wusste Geschichten zu erzählen, da können sich andere nur die sieben Finger nach lecken. Aber hallo. Zum Beispiel hat Hageborn mal ein Kaninchen über den Harz getragen. Lüder nannte er es. Keine Ahnung was das für ein blöder Name ist. Aber das muss man sich mal vorstellen. 100 Kilometer und weiter mit dem Kaninchen durch die Wälder und die ganze Zeit nur von Schnaps und Beeren gelebt. An dem Kaninchen hat er sich gar nicht vergriffen, wie andere das getan hätten. Aber das wird ja in den Artikeln über den Mann nicht erwähnt, was der alles geleistet hat, für Wälder und Auen und den ganzen Kack. Stattdessen wird nur gehetzt. Weil irgendein Waldbaron sagt: Das wollen wir hier nicht. Stoppt die Wilderei, stoppt die Landstreicherei. Wo leben wir denn hier eigentlich?, frag ich da. Ist doch nicht das 13. Jahrhundert, also Mittelalter.

In der Zeitung, aber die ist ja im Grunde auch im Besitz von den Waldbaronessen und -baronen, da schreiben sie natürlich, dass Hageborn ein dreckiger Rumtreiber ist und rohe Tiere bei lebendigem Leibe verzehrt und, dass diese Tiere sich im Besitz vom Freiherrn von Gutzumberg befänden. Für Hageborn gibt es solchen Besitz an Tieren, Land und Pflanzen aber nicht. Die Unverletzlichkeit des Heims, die erkennt er an, denn, auch das hat Hageborn mir damals in der Mark erzählt, bei Nacht und Dunkelheit, wenn es kalt ist und der Herbstwind das tote Laub durch die Gräben fegt, dann braucht man einen Platz sich sicher zu fühlen. Hageborn würde auch niemals einen Fuchs bei Nacht aus seinem Bau ziehen und aufessen, Hageborn ist ein fairer Jäger. Und das ist immerhin mehr, als man von manch anderem behaupten kann.

Gutzumberg sagt jedenfalls, dass Hageborn ihn (also Gutzumberg höchstselbst) attackiert haben soll und hat jetzt die Polizei eingeschaltet. Seit gestern morgen durchkämmen diese von uns bezahlten Ordnungshüter das von-gutzumbergsche Land nach Hageborn. Ohne persönlich dabei gewesen zu sein, vertrete ich die Ansicht, dass von Gutzumberg Hageborn in der Ausübung seiner, für ihn ja lebensnotwendigen, Jagd hat behindern wollen. Hageborn hätte sich in diesem Fall nur zur ihm zustehenden Wehr gesetzt.

Dass die Polizei, dass unser Staatsapparat sich nun gegen ein freies Individuum wendet ist ein Skandal ohnegleichen und eine ungeheure Verschwendung von Steuergeld.

an vergangene Zeitalter

Hauskatzen dieser Welt, schaut mich an!
Laut Wikipedia werdet ihr nur 12 bis 15 Jahre alt. In seltenen Fällen auch mal 20. Damit bin ich älter als ihr alle und bin euch in Sachen Weisheit, Klugheit und Lebenserfahrung deutlich überlegen. Gleiches gilt für Hunde, Karibus und Faultiere. Ihr seid nichts als unreife Gesellen, pubertäre Knaben und Mädchen für mich.
Das ist nicht immer so gewesen. Einst sah ich zu euch auf und konnte euch bewundern, wie ihr Mäuse jagtet, am Wegesrand durchs hohe Gras schlicht und in stundenlanger Geduld auf eure Beute wartetet. Unser Verhältnis war ein anderes, als wir noch gleichaltrig waren. Wir haben gespielt, gebalgt und gesessen, haben den Mond und die Sonne in ihrem ewig gleichen Spiel beobachtet und davon geträumt dessen Regeln einmal zu lernen. – Und irgendwann bin ich dann älter gewesen als die meisten von euch, fand euch drollig in eurer rolligen Art, die ich selbst schon lang zu zähmen gelernt hatte. Da waren dann nur noch die ältesten unter euch da, mich zu lehren. Eure Ruhe und Eleganz, die ich inzwischen wohl nachzuahmen, nicht aber begreifen oder gar leben gelernt hab.
Und gerade das ist die Crux mit euch, dass ihr nicht länger bleiben wollt, dass ihr mit uns Menschen nicht alles teilt, was hinter euren leuchtenden Augen geschieht. Vielleicht ja auch gar nicht könnt, wer weiß das schon. Auch da dürft ihr Hunde, Karibus und Faultiere euch mitangesprochen fühlen. Meinethalben auch die Mantarochen, Mäuse und Dodos ((zugegeben: bei den Mantarochen und Dodos habe ich keine Ahnung von der mittleren Lebenserwartung. Die Dodos sind aber immerhin ausgestorben, das rechtfertigt auf jeden Fall sie hier zu erwähnen)).
Was wollt ihr denn alle nicht länger leben? Wir hätten doch Freunde werden können, ein Leben lang. Durch dick und dünn würden wir gehen, voneinander lernen und uns Geschichten erzählen, wider das Dunkel und die Kälte der Welt.
So aber bleibt uns nichts als auszuharren, abzuwarten, stillzustehen, bis wir selber alte Kater sind. In mattem Fell liegen wir dann da, lassen die Pfoten im warmen Tümpelwasser baumeln und warten auf die Dämmerung.