Wetterbericht VIII

24. Februar 2013
Sonntags-Kontemplation. Denke über Springspinnen und ähnliches Getier nach. O.K. sagt: „Springspinnen finden doch alle süß.“ O.K. sagt aber auch: „Ich identifiziere mich mit der Pferdebremse.“ Vermute bei ihm ödipal-masochistische Tendenzen, bin allerdings nicht approbiert solche Diagnosen zu stellen.

Gutes Thema für eine Doktorarbeit: Die Rolle der Gottesanbeterin in der post-feministischen Literatur nach 1968. – Eine entomo-poetologische Anmaßung.

→ Entomo-poetologische Betrachtungen V. Nabokovs

25. Februar 2013
Angst ist Schuld und redet Gestank. Andererseits: Admiral Ackbar begegnete mir im Wald und zog eine Grimasse wie ein Pferd. Wer wollte sich da nicht fürchten?

26. Februar 2013
Bringe es noch immer nicht über mich meinen Vater aus dem Adressbuch zu löschen. Irgendwann werde ich durch diese Liste scrollen und es wird sein, als ginge ich über einen Friedhof. Es sollte eine Möglichkeit geben solche Einträge, wie auf Papier durchzustreichen. Die Leute sind dann noch da, aber deaktiviert.

Die Monstergruppe

In der Gruppentheorie, einer Teildisziplin der Mathematik, gibt es den Begriff der sogenannten Monstergruppe. Die Monstergruppe gilt als mächtigster Verbund unter jenen dynamischen Zusammenschlüssen, die man die sporadischen Gruppen nennt.

Lange Zeit konnten wir die Existenz jener Automorphismengruppe nur mutmaßen. Ein Schatten hier, ein Echo dort. Ich will gerne gestehen, dass auch ich mich von den Schauergeschichten jener Zeit einlullen ließ. Meine Pili erigierten sich in wohlig-wonnigem Grusel, wenn ich an jene Erzählungen von der 196883. Dimension dachte. Ich weiß noch, wie unser Mathematik-Lehrer, Herr Fischer, uns auf unserer Klassenfahrt nach Keilberg das erste mal von der Monstergruppe und der, für uns Schüler noch viel unheimlicheren, Baby-Monstergruppe erzählte. Ich glaube kaum, dass in der Nacht darauf auch nur ein einziger Schüler der 5a des Robert-Griess-Gymnasiums Aschaffenburg ein Auge zugetan hat. Zu unfassbar, zu groß waren die so evozierten Bilder und Vorstellungen.
Und auch wenn ich nicht glaube, dass irgendjemand wirklich an die Existenz der Monstergruppe geglaubt hat (ich jedenfalls tat es nicht), lag von da an ein impliziter Schrecken in der Welt. Neben den weltlichen Gefahren, die in Russen, Atombomben, Viren und Bakterien, wilden Tieren, fremden Kulturen und Meteoriteneinschlägen bestanden, gab es jetzt etwas noch viel unbegreiflicheres: Die Monstergruppe. Ein Konvolut aus Unfassbarkeit, reiner Mathematik und Gefahr. Mächtiger als alle anderen Gruppen, weit entfernt und unendlich nah, in einer Dimension, deren Ordnungszahl wir uns kaum merken konnten (die aber natürlich trotzdem alle kannten und ohne Probleme aufsagen konnten), wirkten diese zähen Kämpfer im monströsen Mondenschein oft realer als ihre Äquivalente aus der Kohlenstoffwelt.
Doch wie das mit solchen Schreckgespensten nun einmal ist, verloren auch Monster- und Baby-Monstergruppe mit den Jahren ihren Schrecken. Was sollten wir uns länger vor etwas fürchten, das so fremd, so fern war? Man richtet sich in seinem Leben auch dann ein, wenn es von Unwägbarkeit und Gefahr geprägt ist. Oder haben Sie sich heute morgen schon ausreichend mit dem Risiko eines atomaren Erstschlags durch die Kommunisten beschäftigt?

Und dann, 20 Jahre später, saß ich vor dem Fernseher und der Nachrichtensprecher sprach die Nachrichten und die Nachrichten sagten das Unsägliche. Sie ist real. Die ganze verdammte Monstergruppe ist real. Meine Alp- und Angstträume, der ständige unterbewusste Druck, der mein Herz hat schneller, schmerzender schlagen lassen, wenn ich allein war oder mit Freunden, alles hat Hand und Fuß gehabt. Dieses plötzliche Flattern eines zahlenhaften Schemens in einer abendroten, dämmergrauen Gasse; das leise Scharren von Krallen auf Rost, wo nur Holz und Asche lagen. Alles war Wirklichkeit und ein Schimmern aus der 196883. .

Die Welt ist mir eine andere geworden, seit die Gruppe bewiesen ist. Ich stehe morgens auf, mache Buttertoast und schneide einen Apfel, trinke dazu eine Tasse dünnen Tee und lege mich für den Rest des Tages wieder hin. Es ist wahr, was man sagt: die Nachrichten gebären Ungeheuer. Und auch wenn den wenigsten Nachrichtenereignissen eine in diesem Sinne unbefleckte Empfängnis vorhergegangen sein mag, will ich doch betonen, dass Fernseher und Hasenohren an jenem Tag makellos geputzt, frei von Staub und Schmutz gewesen sind.

Bei Nacht seh‘ ich sie jetzt öfter schlendern, mal klein, mal groß; mal mit den Babys im Schlepptau, mal nur damit beschäftigt ihre Eier zwischen Dielen und Ritzen zu legen. Dann halt ich ganz still und den Atem an, ziehe die Bettdecke enger um mich und schließe die Augen. Schlafen darf ich nicht, denn dann liegen sie bald mir mit ihren Eiern in den Ohren. Ich will mich aufbäumen, weiß nicht wie und kann nur sagen:

Es nutzt doch nichts. Nun kommt die Zeit der Monster. So wie einmal die Zeit der Bakterien, später der Saurier war, so wie jetzt die Zeit der Säuger und Menschen ist und so wie eines Tages die Zeit des toten Sands sein wird, so kommt jetzt die Zeit der Monster.

Traumtagebuch (13)

In einer amerikanischen Schule soll ich einen Informatikkurs belegen. Außer mir sitzen nur eine junge Frau und ein alter Informatik-Lehrer, der aussieht wie eine Mischung aus Richard Stallman und Michael Haneke, im Raum. Dem Lehrer soll ich Rede und Antwort stehen, was ich in seiner Informatikklasse will. Mit Schrecken stelle ich fest, dass ich des Englischen nur radebrecherisch mächtig bin. Mein TH klingt wie ein ẞ und Subjekt, Prädikat und Objekt wollen auch nicht in die rechte Reihenfolge fallen.
Irgendwann betritt K. den Raum. Ihr Englisch ist viel besser und sie blickt mitleidig zu mir herüber. Was, denke ich, wenn mein Deutsch jetzt auch so verkümmert ist?

Wetterbericht VII

28. Januar 2013
Die Königin von Holland will also zurücktreten. Das schreit nach einem Liveticker. Bei Spiegel-Online gibt es sicher schon einen.
Wie es wohl ist KönigIn von Holland zu sein? Bestimmt hat man eine Schatzkammer und eine Krone aus Platin und einen Chauffeur. Das wäre wohl ein Leben, das ich mir gefallen ließe. Vielleicht ist es an der Zeit eine entsprechende Bewerbung zu schreiben.

10. Februar 2013
Gleichnis von Kamel und Tigerross
Als ich mich einmal in der Kamel- und Zebrazucht betätigte (was zur Bekämpfung des finsteren Panthers Trübsal geschah), sah ich am Himmel ganz viele Sterne. Bald aber gingen mir die Kamele ein und die Tigerpferde rannten davon: Da saß ich dann ganz allein im Wüstenstaate X und musste bittere Tränen vergießen und die kalten Sterne waren nur noch bedrohlich und kein Labsal mehr.

14. Febraur 2013:
Nach Beatrix nun auch noch Schavan und der Papst. Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab.

20. Februar 2013:
Mit jeder Seite die ich lese wächst die Verzweiflung. Da ein guter Satz, dort eine geniale Formulierung. Weshalb bin ich zu dumm für sowas?

Traumtagebuch (12)

mehrere zusammenhängende Fragmente:

1) ein artistisches Stück. Eine junge Frau will oder soll auf einer Stange balancieren, doch die Stange birst und die Frau schlägt mit dem Rücken auf dem harten Boden auf. Das Publikum hat große Angst um sie, alle halten den Atem an. Wie durch ein Wunder überlebt sie den tiefen Fall unverletzt.
Danach melde ich mich freiwillig, das Stück als nächster zu probieren.

2) Abendessen mit einem dicken Amerikaner. Der Kerl ist unsympathisch und zotig. Er erzählt von einem Freund, der seiner Ehefrau immer solange Geld leihe, bis sie so tief verschuldet sei, dass sie mit dem Freund schlafen müsse. „Ich finde das großartig!“, ruft der dicke Amerikaner mit breitem, amerikanischem Akzent und schlägt mit der flachen Hand auf seinen Teller, dass die Bratensoße in alle Richtungen spritzt.
Interessantes Detail: Das Wort Sex wird in seiner Rede [sæks] geschrieben und der Erzählerkommentar: „Keiner der Anwesenden wusste recht zu sagen, wie mit diesem Kerl umzugehen war.“ steht kursiv.

3) Bei Nacht versuchen wir aus dem Zirkus zu fliehen. Ein kleines Mädchen aber fürchtet sich, die Leiter zu erklimmen, die uns zu dem Loch in der Decke des Zirkuszeltes führen soll. Wir alle hatten uns das leichter vorgestellt.

Ur (was: Re: Extrapolation)

Kennst du das?
Die halbe Nacht wachliegen, den glasschwarzen Himmel sehen, mit klarer Aussicht auf’s Universum die Sterne zählen und tausend Gedanken sauber ordnen.
Dann: ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, das Firmament splittert, der Blick schweift einmal müde ab, die Sonnen verglühen, die Zählung schmilzt hin, die achtsam aufgefädelten Sätze reißen auseinander
und die ach so schönen Holzperlen rollen in allen Farben über den Küchenfußboden.
Wenn du Glück, wenn du großes Glück hast, findest du in ein paar Monaten oder Jahren vielleicht eines dieser Zellstoff-Kleinode wieder und kannst das ganze verdammte Universum daraus extrapolieren.
Das wär es doch. Verdammt nochmal, das wär es doch.